Die Zahlen sind erschreckend: Rund
165 Millionen Europäer leiden laut einer Studie unter einer psychischen
Störung. Die Behandlung startet meist zu spät - und genügt häufig nicht
einmal minimalen Standards.
Mehr
als jeder dritte EU-Bürger leidet mindestens einmal im Jahr an einer
psychischen oder neurologischen Störung. Besonders häufig treten
Angsterkrankungen, Depressionen und
Schlaflosigkeit auf, ergab die bislang größte Studie zum Thema.
"Es gab lange die Annahme, dass psychische und neurologische
Störungen nur das Schicksal einzelner Personen sind. Das ist
vollkommen abwegig", sagt der deutsche Studienleiter
Hans-Ulrich Wittchen von der TU Dresden bei der Vorstellung der
Ergebnisse in Paris. "Warum sollte das Gehirn im Gegensatz zum Rest
des Körpers gesünder sein, obwohl es um ein Vielfaches komplexer ist
als andere Organe?" Niemand wundere sich, wenn er einmal im Jahr zum
Arzt gehen müsse, weil er eine Erkältung oder etwas am Magen habe.
Die Gesamtzahl der pro Jahr betroffenen Menschen in der EU und
den Ländern Schweiz, Norwegen und Island schätzen die Experten nach
einer umfassenden Metaanalyse vorhandener Daten auf 164,8 Millionen
Menschen.
Angststörungen am häufigsten
Die
Studie liefert nach Angaben der Experten erstmals ein realistisches Bild
zur Häufigkeit psychischer Störungen in Europa. 38 Prozent aller
Einwohner der EU leiden demnach binnen eines Jahres unter einer klinisch
bedeutsamen psychischen Störung.
- Den Spitzenplatz belegen Angststörungen (14 Prozent).
- Sieben Prozent leiden an Schlafstörungen.
- An Depressionen sind 6,9 Prozent, an psychosomatischen Erkrankungen 6,3 Prozent erkrankt.
- Vier Prozent leiden laut Studie unter Alkohol- und Drogenabhängigkeit.
- Bei fünf Prozent aller Kinder und Jugendlichen treten Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörungen auf.
- An Demenzen leiden zwischen einem Prozent der 60- bis 65-Jährigen bis zu 30 Prozent der über 85-Jährigen.
Männer und Frauen leiden nach Angaben der Forscher etwa gleich
häufig unter psychischen Erkrankungen - einen großen Unterschied gibt
es aber zwischen der Art der Störungen. Männer haben in der Kindheit
etwa häufiger ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörungen)
und später Suchterkrankungen, während Frauen häufiger an
Depressionen, Angsterkrankungen und Essstörungen leiden.
Als eine Ursache der Geschlechtsunterschiede gelten nach Angaben
von Wittchen gesellschaftliche Veränderungen. "Die soziale Stress-
und Rollenbelastung von Frauen hat in den vergangenen 30 Jahren
deutlich zugenommen. Das heißt, eine Frau, welche die Rolle einer
berufstätigen Hausfrau und Mutter hat, hat ein höheres Risiko Angst-
und Depressionserkrankungen zu bekommen als Männer." Bekannt sei
auch, dass eine Heirat bei Männern die Krankheitshäufigkeit senke,
während es bei Frauen genau andersherum sein könne.
Möglichst früh therapieren
Die
im Fachmagazin "European Neuropsychopharmacology" veröffentlichten
Ergebnisse basieren auf einer über drei Jahre währenden Studie und
beziehen sich auf alle 27 EU-Staaten sowie die Schweiz, Island und
Norwegen mit einer Gesamteinwohnerzahl von 514 Millionen Menschen.
Berücksichtigt wurden mehr als 100 unterschiedliche psychische und
neurologische Krankheitsbilder.
Obgleich die Zahlen
alarmierend klingen, gibt es zumindest einen kleinen Lichtblick:
Insgesamt sei die Häufigkeit psychischer Störungen im Vergleich zu 2005
aber nicht gestiegen, betonten die Forscher. Lediglich bei den
Demenzerkrankungen gebe es aufgrund der gestiegenen Lebenserwartung eine
Zunahme.
Obwohl psychische Störungen in Europa zur
größten gesundheitspolitischen Herausforderung des 21. Jahrhunderts
geworden sind, gibt es den Autoren zufolge bei der Versorgung der
Patienten dramatische Missstände. Nach der Auswertung der Daten würden
in Europa nur zehn Prozent aller psychischen Störungen "minimal adäquat"
behandelt.
Selbst die besten Gesundheitssysteme, zu denen auch das deutsche gehöre,
schafften es bestenfalls, jeden zweiten Patienten einigermaßen gut zu
behandeln.
Studienleiter Wittchen forderte als
Konsequenz aus der Studie ein Ende der Unter- und Fehlversorgung der
Betroffenen. Da viele psychische Störungen früh im Leben beginnen und
unbehandelt massive negative Langzeiteffekte haben können, müssten sie
früher und schneller behandelt werden.
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