Die amerikanische Rock-Band R.E.M. löst sich auf. Nach ziemlich genau 30 Jahren trennen sich die Musiker ohne Streit. Mit Videos und Umfrage!
Als sie vor ziemlich genau 30 Jahren anfing, Musik zu machen, klang sie zunächst wie eine Reinkarnation der Byrds, jener legendären Folkrock-Truppe aus den glorreichen 60er Jahren, die seinerzeit als die amerikanische Antwort auf die Beatles galt. Doch recht schnell entwickelte die aus Atlanta stammende Band mit dem ungewöhnlichen Namen R.E.M. (Abkürzung für „Rapid Eye Movement“, ein Begriff aus der Schlaf-Forschung) einen eigenen, unverwechselbaren Stil – zuerst auf den kleinen Bühnen von amerikanischen Uni-Auditorien, danach in immer größeren Hallen. Spätestens Anfang der 90er hatte die Gruppe um den charismatischen Sänger Michael Stipe dann schließlich Stadionrock-Status erreicht, stürmte sie die Charts mit ihren Singles und Alben und machte auch mit ausgesprochen innovativen Video-Clips zu ihren Songs von sich reden: etwa mit dem zu „Losing my Religion“ (1991), gedreht von Regisseur Tarsem Dhandwar Singh („The Cell“).
Mit einer unorthodoxen Mischung aus Folk und Rock eroberten R.E.M. ein globales Millionenpublikum, mit extrem süffigen Songs, deren Reiz vor allem in dem Kontrast zwischen Michael Stipes samtweicher Stimme und den teils harschen, ausgesprochen voluminösen Riffs von Leadgitarrist Peter Buck liegt. Bis weit in den Pop-Mainstream-Bereich hinein reichte die Attraktivität der ursprünglich im „Alternative Rock“ beheimateten Band – wie die Verkaufszahlen ihrer Alben demonstrieren: Ihr Longplayer „Out of Time“ (1991) brachte es auf 16 Millionen verkaufte Exemplare weltweit, der Nachfolger „Automatic for the People“ (1992) auf 15 Millionen. Auch etliche ausgekoppelte Singles waren globale Millionenseller – „Drive“ (1991) etwa, „Bang and Blame“ (1994), „Imitation of Life“ (2005).
Der Einfluss von Stipe und seinen Mitstreitern auf die zeitgenössische Rockmusik-Szene ist überhaupt nicht zu überschätzen: Er wünsche es sich, Musik wie R.E.M. machen zu können, bekannte Grunge-Idol Kurt Cobain kurz vor seinem Tod, und dieses Statement klingt umso plausibler, je öfter man das musikalische Vermächtnis des Nirvana-Frontmanns, den Mitschnitt des MTV-„Unplugged“-Konzerts vom November 1993, anhört. Zahlreiche angloamerikanische Rockbands der 90er Jahre zählen R.E.M. zu ihren Vorbildern, etwa Dream Syndicate, Live, Ride oder Buffalo Tom.
Und obwohl sich die Band auf den Konzertbühnen dieser Welt immer öfter ziemlich rar machte, war sie eine Live-Attraktion allerersten Ranges. Legendär beispielsweise ist ihr Auftritt auf der Kölner Domplatte im Mai 2001: So beseelt wie hier haben Stipe & Kollegen ihre melancholischen Balladen wohl nie vorher oder nachher intoniert – und das alles noch für einen guten Zweck: Es handelte sich um ein Benefizkonzert für eine Initiative, die sich für Gewaltfreiheit an den Schulen einsetzt. Und im Unterschied zu anderen Rockstars ihrer Liga spulten R.E.M. live nie nur einfach ihre Hits herunter, sondern variierten das Material, machten beispielsweise (wenn ihnen danach war) aus einem sanften Folksong wie „Drive“ auf der Bühne einen phonstarken Rock'n'Roll-Kracher.
Apropos Benefizkonzert: Kaum eine Rockband mit vergleichbarem Status engagierte sich in derart vielen politischen Initiativen wie R.E.M.: für den Tierschutz, für den Regenwald, gegen Rassismus, für ein strengeres Waffenrecht in den USA und für die Menschenrechte in aller Welt. 2004 gehörte die Band zu den Initiatoren der so genannten „Vote for Change“-Aktion zugunsten des demokratischen US-Präsidentschaftsbewerbers John Kerry – allerdings ohne Erfolg. Er komme aus „einem sehr seltsamen Land, den Vereinigten Staaten von Amerika“, sagte Sänger Stipe resigniert bei fast jedem Konzert der R.E.M.-Europa-Tournee im Frühjahr 2005 – und das Leiden an dieser seiner Heimat war ihm unschwer anzusehen.
Auf ihrer Homepage verkündete die Guppe nun ihre Auflösung. „Wir haben uns entschlossen, einen Schlussstrich zu ziehen“, schreiben die Musiker, „wir haben diese Entscheidung gemeinsam und in aller Freundschaft getroffen. Wir danken jedem, der sich von unserer Musik angesprochen fühlte."
Die Band und ihre Musiker
Ursprünglich war R.E.M. ein Quartett. Sänger Michael Stipe, Leadgitarrist Peter Buck, Bassgitarrist Mike Mills und Schlagzeuger Bill Berry, allesamt ehemalige Studenten der University of Georgia, die eine gemeinsame Leidenschaft für Bands wie Television und die Velvet Underground verband.1981 veröffentlichten sie ihre erste Single („Radio Free Europe“), 1983 ihre erste LP („Murmur“), die es auf immerhin 200 000 verkaufte Exemplare brachte. „Out of Time“ (1991) toppte dann zum ersten Mal die Charts in den USA und in Großbritannien.
Drummer Bill Berry verließ die Band 1997, gesundheitlich stark angeschlagen (zwei Jahre zuvor hatte er auf offener Bühne während eines Auftritts im schweizerischen Lausanne eine Gehirnblutung erlitten). Er zog sich ganz aus dem Rock- und Pop-Business zurück und lebt heute als Farmer im heimatlichen Georgia. Der Rest der Band entschloss sich – auch auf Wunsch Berrys – damals dazu, einfach als Trio weiterzumachen. (nf)
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