Arzt legt Veto ein: Genie fehlt bei Geburtstagsfeier
09.01.2012, 08:38
Uhr
Marc Hasse
Ein Popstar der Physik
wird 70 - und kann leider nicht auf seine Geburtstagsfeier. Sein Arzt
liess ihn wegen gesundheitlicher Gründe nicht an der Konferenz zu Ehren
des Astrophysikers teilnehmen. Der Astrophysiker Stephen Hawking lebt
seit fast 50 Jahren mit einer Krankheit, die bei anderen schnell zum
Tode führt. Ein Lebensweg vom Genie zum Forscherstar.
Stephen Hawking wird 70
Foto: dpa/DPA
Hamburg.
Der Astrophysiker Stephen Hawking lebt seit fast 50 Jahren mit einer
Krankheit, die bei anderen schnell zum Tode führt. Ein Lebensweg vom Genie
zum Forscherstar. Aus gesundheitlichen Gründen fehlte Hawking bei der
Konferenz zu Ehren seines 70. Geburtstags gefehlt. Wie die Universität von
Cambridge mitteilte, ging es dem bekannten Wissenschaftler, der an einer
Erkrankung des Nervensystems leidet und an den Rollstuhl gefesselt ist,
nicht gut genug, um an dem Symposium zum Thema Kosmologie teilzunehmen.
Hawking sei am Freitag aus dem Krankenhaus entlassen worden, sagte der
Vizerektor der Universität, Leszek Borysiewicz, vor Konferenzteilnehmern.
Leider habe sich der Astrophysiker nicht schnell genug erholt, um eine
Teilnahme zu ermöglichen. Er hoffe, dass Hawking die Konferenz per
Videoschaltung verfolgen könne, sagte Borysiewicz weiter. „Falls Sie
zuhören, Stephen, herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag von uns allen, die
heute hier sind“, sagte er, woraufhin das Publikum in Beifall ausbrach.
Nähere Angaben zum Gesundheitszustand Hawkings machte Borysiewicz nicht. Er
sagte aber, er rechne damit, dass Hakwing fit genug sein werde, um im Laufe
der kommenden Woche einige der Konferenzteilnehmer zu treffen.
Nach der Konferenz wurde eine auf Tonband aufgezeichnete Nachricht von
Hawking abgespielt. Darin sagte er, das Universum zu verstehen sei viel mehr
als ein rein theoretisches Interesse. „Wenn man versteht, wie das Universum
funktioniert, kontrolliert man es auf eine Art“, sagte er.
Referenten bei dem Symposium waren unter anderen der Nobelpreisträger Saul
Perlmutter und die ebenfalls renommierten Wissenschaftler Martin Rees und
Kip Thorne.
Der am 8. Januar 1942 in Oxford geborene Hawking gilt als führender Experte
für Themen wie Schwarze Löcher, Urknall oder Paralleluniversen. Weltweit
bekannt wurde er insbesondere durch seine populärwissenschaftlichen Bücher
wie „Eine kurze Geschichte der Zeit“ oder „Das Universum in einer
Nussschale“. Im Alter von 21 Jahren wurde bei Hawking Amyotrophe
Lateralsklerose (ALS) diagnostiziert, eine Erkrankung des Nervensystems, die
normalerweise innerhalb weniger Jahre nach der Diagnose zum Tod führt.
Der Popstar der Physik
Eigentlich müsste er längst tot sein. ALS stellten die Ärzte bei ihm fest,
eine unheilbare Erkrankung des Nervensystems. Die drei Buchstaben stehen für
A
myotrophe
L ateral
s klerose. Der grausame Verlauf: Erst
versagen einige Muskeln, schließlich alle Körperfunktionen. Drei, maximal
fünf Jahre habe er noch zu leben, sagten sie ihm. Da hatte er gerade in
Cambridge sein Studium der Kosmologie begonnen, mit 21 Jahren. Das war 1963.
Am Sonntag, den 8. Januar 2012, feiert Stephen Hawking seinen 70. Geburtstag
- zusammengesunken in seinem Rollstuhl, unfähig zu sprechen. Doch sein Geist
reist immer noch zu den Sternen.
Dass seine Behinderung zu seiner enormen Bekanntheit beigetragen hat, ist dem
britischen Astrophysiker bewusst: "Die Menschen sind fasziniert von dem
Gegensatz zwischen meinen sehr eingeschränkten körperlichen Fähigkeiten und
der gewaltigen Ausdehnung des Universums, mit der ich mich beschäftige",
sagt Hawking. Er sei wohl für die Massen der "Archetyp eines
behinderten Genies", meint er auf seiner Website. "Ob ich wirklich
ein Genie bin, ist mehr als zweifelhaft." "Lächerlich"
findet er, dass einige ihn mit Einstein vergleichen. "Sie haben weder
Einsteins Arbeit verstanden noch meine."
+++ Er spricht per Computer +++
+++ Stationen in Raum und Zeit +++
Tatsächlich sind solche Vergleiche gewagt. Zwar hatte Hawking von 1979 bis
2009 den Lucasischen Lehrstuhl für Mathematik in Cambridge inne, den einst
Isaac Newton besetzte, neben Einstein einer der bedeutendsten
Wissenschaftler aller Zeiten.
Dennoch wird Hawking nicht in einer Reihe mit diesen Größen gesehen. Einsteins
Relativitätstheorie habe die Kosmologie erst ermöglicht; einen derart
bedeutenden Beitrag habe Hawking nicht geliefert, sagte Andreas Burkert,
Präsident der Astronomischen Gesellschaft und Professor für theoretische
Astrophysik an der Ludwig-Maximilians-Universität München, dem Abendblatt.
Dennoch: "Hawking ist einer unserer Besten. Ich habe großen Respekt vor
ihm."
Eine Ausnahmeerscheinung ist Hawking jedoch, weil er Millionen Menschen für
wissenschaftliche Probleme begeistert hat wie kaum ein anderer Forscher.
Sein 1988 veröffentlichtes Sachbuch "Eine kurze Geschichte der Zeit"
wurde bis heute weltweit mehr als zehn Millionen Mal verkauft. Darin widmet
er sich den fundamentalsten Fragen, die man sich stellen kann: Wie entstand
das Universum? Wie hat es sich entwickelt - und wie könnte es enden?
Ob ein großer Teil der Käufer das Werk auch gelesen und verstanden hat, darf
man jedoch bezweifeln; selbst die stark vereinfachte Version "Die
kürzeste Geschichte der Zeit", erschienen 2005, ist teilweise
schwere Kost. Und ein Großteil der darin beschriebenen Theorien, etwa über
den Urknall, die Wirkung der Schwerkraft (Gravitation), das Verhältnis von
Raum und Zeit oder die Ausdehnung des Universums stammt nicht von Hawking
selbst.
Einen Forschungszweig allerdings hat der Brite maßgeblich geprägt: die Physik
der schwarzen Löcher. Zusammen mit Roger Penrose lieferte Hawking Ende der
1960er-Jahre erstmals den mathematischen Beweis, dass die Gleichungen von
Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie nur lösbar sind, wenn man davon
ausgeht, dass es im Universum Singularitäten gibt, Zustände, in denen Raum
und Zeit enden und physikalische Gesetze ihre Gültigkeit verlieren.
Eine solche Singularität ist ein schwarzes Loch, das der Theorie nach
zwangsläufig entstehen muss, wenn sich genügend viel Masse auf kleinem Raum
konzentriert. Hat ein Stern seinen Brennstoff verbraucht, "stirbt"
er. Wenn er über erheblich mehr Masse verfügt als unsere Sonne, explodiert
er als Supernova, das heißt, er schleudert in einem letzten Akt seine
äußeren Massen ins All. Seine inneren Massen jedoch brechen unter dem Druck
der Schwerkraft zusammen und verdichten sich in Millisekunden zu winzigen
Gebilden. Diese üben eine so starke Anziehungskraft aus, dass alles Licht
und alle Materie, die ihnen nahe kommen, angesaugt werden. Die Gesamtheit
solcher Gebilde nennt man ein schwarzes Loch.
Was im Zentrum dieser Gebilde mit Raum und Zeit geschieht, ob alles endet oder
ein neues Universum beginnt, lässt sich mit physikalischen Gesetzen nicht
abbilden, es ist außerordentlich, einmalig, daher der Begriff Singularität.
Dass unsere Sonne irgendwann zu einem schwarzen Loch wird, ist übrigens
ausgeschlossen: Ihre gesamte Masse müsste dazu in einer Kugel mit dem Radius
eines Kilometers konzentriert sein - tatsächlich hat unser Zentralgestirn
einen Radius von knapp 700 000 Kilometern (109-mal mehr als der Radius der
Erde). Deshalb wird die Sonne in sieben bis acht Milliarden Jahren einfach
verglühen.
Weil Hawkings mathematische Herleitung mit Einsteins Allgemeiner
Relativitätstheorie übereinstimmt und sämtlichen Überprüfungen standgehalten
hat, sind Astronomen und Astrophysiker heute sicher: Schwarze Löcher
existieren tatsächlich. In den vergangenen Jahrzehnten sammelten sie immer
mehr Hinweise auf die monströsen Gebilde. Zu erkennen sind schwarze Löcher
indirekt an dem Gravitationsfeld, das in ihrer Umgebung auftritt. Den
Studien zufolge befindet sich auch im Zentrum der Milchstraße ein schwarzes
Loch, dessen Masse die unserer Sonne um das Millionenfache übertrifft.
Weil aus schwarzen Löchern kein Licht entrinnt, sind sie mit Teleskopen nicht
auszumachen, also praktisch unsichtbar. Das soll sich ändern: In dem 1,05
Milliarden Euro teuren EU-Projekt "eLisa" wollen Forscher anhand
von Gravitationswellen schwarze Löcher zumindest indirekt nachweisen. Auch
diese Wellen sind bisher eine Theorie, aber mit drei Spezialsatelliten
sollen sie ab 2022 aufgefangen werden.
Noch größeres Aufsehen als Hawkings Beitrag zum sogenannten
Singularitäten-Theorem erregte seine 1974 veröffentlichte Berechnung, dass
schwarze Löcher nicht zwangsläufig auf ewig unveränderlich sind, sondern
unter bestimmten Bedingungen energiereiche Strahlung aussenden. Diese
Vorhersage ist konsistent mit der Quantentheorie, der zweiten großen
physikalischen Theorie des 20. Jahrhunderts - aber sie passt nicht zur
ersten, der Allgemeinen Relativitätstheorie. Denn wenn schwarze Löcher
tatsächlich Strahlung aussendeten, würden sie Energie verlieren, kleiner
werden und irgendwann verschwinden. Nach der Relativitätstheorie müssten sie
aber wachsen, weil sie Materie schlucken und so an Masse gewinnen. Wie viele
andere Physiker hofft auch Hawking, dass es irgendwann gelingt, die beiden
Theorien durch eine "Weltformel" zu vereinen.
Das Universum mathematisch zu erklären, ohne auf einen göttlichen Schöpfer
verweisen zu müssen, das treibt ihn seit Studienzeiten an. Trotz dieser
Einstellung erhielt er 2008 eine Audienz bei Papst Benedikt. Das Abendblatt
schrieb damals: "So unterschiedlich ihre Ansichten über die Entstehung
oder das Sein unserer Welt sein mögen, so ähnlich sind sich die beiden
Männer im Bemühen, Antworten zu finden. Sei es, in der Wissenschaft - oder
eben im Glauben." Freilich ist Hawking auch nach der Audienz bei seiner
Haltung geblieben. In seinem 2010 veröffentlichten Buch "Der große
Entwurf" schrieb er, man könne zwar nicht beweisen, dass Gott nicht
existiere. "Aber die Wissenschaft macht Gott überflüssig."
Vor diesem Hintergrund ist es nur logisch, dass Hawking nicht an einen Himmel
glaubt. Er habe es zwar nicht eilig zu sterben, fürchte sich aber auch nicht
vor dem Tod, sagte er der britischen Zeitung "The Guardian" im Mai
2011: "Ich sehe das Gehirn als einen Computer an, der aufhört zu
arbeiten, wenn seine Einzelteile nicht mehr funktionieren. Es gibt kein
Leben nach dem Tod für kaputte Computer; das ist ein Märchen für Leute,
die Angst im Dunkeln haben."
Über Hawkings Privatleben ist wenig bekannt. Seine Ex-Frau Jane Hawking
brachte 1999 ein Buch heraus, in dem sie ihn als Haustyrannen beschrieb, den
sie gelegentlich daran erinnern musste, dass er nicht Gott sei. In
Anspielung an seine Forschung sagte sie 2004: "Sein Ruhm trug ihn aus
dem Orbit unserer Familie." Hawking hat drei Kinder. Zumindest mit
seiner Tochter Lucy Hawking, 40, scheint er sich blendend zu verstehen. Die
Journalistin veröffentlichte im September den letzten Band ihrer
Jugendbuch-Trilogie über den Weltraum. An allen drei Büchern hat ihr Vater
mitgewirkt.