Isolationsexperiment
Virtuelle Reise: Einmal Mars und zurück
Es war die bisher längste
virtuelle Reise ins All: Nach 520 Tagen Isolation steigen heute sechs
Männer in Moskau aus einem Container.
Begehung an der langen Leine: Viermal simulierten die Teilnehmer
einen Ausflaug auf den Mars. Dessen Oberfläche war in einem Teil des
Moduls nachgebaut worden
Foto: ESA
Foto: ESA
Moskau.
Luke auf für den Schlussakt des längsten Isolationsexperiments der Raumfahrt:
Sechs Männer beenden heute nach 17 Monaten eine virtuelle Reise ins All. Bei
dem Projekt in Moskau simulierten Teilnehmer aus Russland, China, Frankreich
und Italien seit Juni 2010 einen Flug zum Mars und zurück - streng
abgeschirmt in einem Container. "Ich bin sicher, dass dies ein kleiner,
aber wichtiger Schritt auf dem Weg zum Mars war", sagt Peter Gräf vom
beteiligten Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR).
Insgesamt 520 Tage waren die Männer auf sich gestellt, rund um die Uhr
überwacht von Kameras - alles im Dienst der Wissenschaft: Das Experiment
Mars500 soll Erkenntnisse bringen für einen Flug zum Roten Planeten, der
irgendwann Wirklichkeit werden könnte. Da Experten Leben auf dem Mars nicht
ausschließen, ist der erdähnlichste Planet im Sonnensystem für sie besonders
spannend. Zehn Millionen Euro haben sich die beteiligten Institutionen das
Experiment dann auch kosten lassen; etwa zwei Millionen Euro davon
übernehmen das DLR und die Europäische Weltraumbehörde (Esa). Für jeden
Teilnehmer der virtuellen Reise gibt es etwa 80 000 Euro.
Deutsche Experten sind begeistert von den Resultaten. "Diese geschlossene
Gesellschaft war ein Paradies für Forscher", sagt Alexander
Choukèr von der Ludwig-Maximilians-Universität München. Der Anästhesist
nutzte die Isolation der Raumfahrt-WG, um mithilfe von Urin- und
Speichelproben der Teilnehmer die Wirkung von Stress auf das Immunsystem zu
untersuchen. Parallel analysierte die Universität Erlangen die Proben auf
die Balance des Salz- und Wasserhaushalts.
Fast 12 500 Stunden in einem fensterlosen Container mit einer Holzvertäfelung,
die sowjetischen Charme verbreitet: Das war fünfmal so lange wie beim ersten
Langzeitexperiment der Mars-Forscher vor zwei Jahren. Damals verbrachte
unter anderem der Düsseldorfer Oliver Knickel 105 Tage im Moskauer "All".
Kameras übertrugen erneut das Geschehen im Modul - bis auf eine je drei
Quadratmeter "große" Privatkammer - in einen benachbarten
Kontrollraum.
"Die Männer freuen sich auf den Ausstieg wie Kinder auf Heiligabend",
sagt Esa-Experte Martin Zell. Seit Wochen fühle sich die Crew "ausgelaugt",
heißt es. Den mentalen Tiefpunkt hätte die Mannschaft im August erlebt, so
Patrik Sundblad von der Esa: "Es war die monotonste Phase der Mission,
viele der Angehörigen und Freunde waren im Urlaub und schickten deshalb
keine Nachrichten." Außerdem habe es wenig Abwechslung bei der Nahrung
gegeben.
"Die Simulation ist viel schwieriger als ein wirklicher Flug",
beschreibt Elektroingenieur Diego Urbina, einer der "Marsianer",
die Stimmung in dem 180 Quadratmeter großen "Raumschiff". Im
Gegensatz zu einem wirklichen Flug zum mehr als 50 Millionen Kilometer
entfernten Planeten fehlten bei dem Experiment zwar Schwerelosigkeit und
kosmische Strahlung, was immer wieder zu Kritik an der Relevanz des
Experiments geführt hatte. "Stattdessen spürt man oft Einsamkeit
und eine große Monotonie", schrieb der 28-jährige Italiener aus
dem Modul.
Urbina hatte noch Glück: Mit dem Russen Alexander Smoleevskiy und dem Chinesen
Yue Wang durfte er im Februar den röhrenförmigen Container kurz verlassen:
für die virtuellen ersten Schritte eines Menschen auf dem Mars. Forscher
hatten ein Stück des Roten Planeten, der den Beinamen wegen des rötlichen
Eisenoxidstaubs trägt, im Moskauer Institut für Biomedizinische Probleme
nachgebaut.
Alexey Sitev und Sukhrob Kamolov (beide Russland) sowie Romain Charles aus
Frankreich mussten im "Mutterschiff" auf ihre Kollegen warten. "Aber
Hand aufs Herz: Wir waren uns in jeder Sekunde bewusst, dass wir nicht
wirklich auf dem Weg zum Mars waren", räumte Urbina augenzwinkernd ein.
Um die Besatzung auf Trab zu halten, dachte sich die "Bodenstation"
Dutzende Experimente aus - und inszenierte Pannen wie einen Brand. Auch
kappte sie für eine Woche alle Leitungen, damit die "Raumfahrer"
den Notfall im All proben konnten.
Während China gestern morgen (Ortszeit) feierte, dass dem Land mit dem
unbemannten Raumschiff "Shenzhou-8" als vierter Weltraummacht die
Kopplung von zwei Raumflugkörpern gelungen war, geht heute in Moskau um 11
Uhr (MEZ) der zehntägige Countdown der Mars-Expedition zu Ende. Viele der
beteiligten, nach Moskau gereisten Forscher werden die letzten Proben
entgegennehmen und auswerten. Für mögliche weitere Experimente - oder
irgendwann die reale Expedition. Nach dem Flug ist vor dem Flug.
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