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Hirnforscher untersuchen Träumer
Schlaf gut und träum was Schönes
Wer
Träume bewusst steuern kann, hat mehr vom Leben. Wissenschaftler wollen
herausfinden, was während des Träumens im Körper vor sich geht.
Klarträumer beherrschen ein Paradoxon: Sie erleben sich im Traum als wach, wissen aber zugleich, dass sie schlafen.
Bild:
koco / photocase.com
Nachts, wenn alles schläft, erobern Allmächtige die
Stadt. Sie drehen die Gesetze der Physik auf links, trotzen jeder Logik
und Moral, verstellen das Weltgefüge. Sie sind Oneironauten, besser
bekannt als Träumer. Menschen, die in ihren Köpfen eine Welt
konstruieren, die äußerst fragil ist und ständig zu bersten droht.
Unberechenbar und unergründet - so wie unser Gehirn.
Um besser zu verstehen, was in unseren
Köpfen vorgeht, haben Wissenschaftler des Münchener Max-Planck-Instituts
für Psychiatrie ein Team aus Träumern auf Mission geschickt. Sie
sollten, mit Kabeln beklebt und von Kameras überwacht, in einem
Kernspintomografen auf Traumreise gehen und dann, aus den Tiefen des
Unterbewusstseins, ein Signal an die Außenwelt senden. Aus der
unwirklichen Traumwelt heraus, hinein in die Messgeräte der Forscher.
Doch wie soll das funktionieren? Dazu müsste man
sich doch zunächst dessen bewusst sein, dass man träumt. Und man dürfte
im Traum nicht vergessen, dass der schlafende Körper in einem
Schlaflabor liegt und beobachtet wird.
Geschulte Klarträumer können das.
Schlafen und träumen für die Hirnforschung
In ihren sogenannten luziden Träumen sind sie in der Lage, ihre
Träume zu beeinflussen. Klarträumer beherrschen ein Paradoxon: Sie
erleben sich im Traum als wach, wissen aber zugleich, dass sie schlafen.
Diese Erkenntnis ermöglicht es ihnen, der Fantasie freien Lauf zu
lassen und die Träume selbst zu gestalten. Sie übernehmen die Regie in
ihrem persönlichen Traumkino.
Der Psychologe Martin Dresler hat für sein
Experiment Oneironauten gewonnen, die nicht nur ab und an, sondern
häufig klar träumen.
Im Labor des Max-Planck-Instituts
schlafend, gaben diese ein vorher ausgemachtes Zeichen mit ihren Augen.
So konnten die Traumforscher genau in dem Moment die Hirnaktivität der
Schlafenden messen, in dem sich diese in einer Traumphase befanden.
Anschließend sollten die Versuchspersonen im Traum ihre Hände zu Fäusten
ballen.
Das Ergebnis der Tomografie: Wer träumt,
die Hände zu Fäusten zu ballen, nutzt dieselben Regionen des Gehirns wie
bei der motorischen Handlung im Wachzustand. Träume beanspruchen das
Hirn also ähnlich wie eine tatsächlich ausgeführte Handlung.
Eigentlich eine simple Erkenntnis, jedoch
auf einem unerschlossenen Gebiet. "Die Traumforschung ist nach wie vor
ein Stiefkind der Wissenschaft", erklärt Martin Dresler. "Es gibt viel
zu wenige handfeste Daten und viel zu viel esoterischen Quatsch, der
rund um die Thematik betrieben wird."
In den 1950er Jahren stellten Forscher in
Chicago erstmals fest, dass wir vor allem dann lebhaft träumen, wenn wir
uns in der sogenannten REM-Phase befinden, die nach unseren schnellen
Augenbewegungen im Traumschlaf, dem Rapid Eye Movement, benannt ist.
In den folgenden Jahrzehnten stieg das
neurowissenschaftliche Interesse auf dem Gebiet, bis in den neunziger
Jahren die Technik weit genug war, um unsere Hirnaktivitäten mit
Computern genauer zu untersuchen.
Urtriebe, psychische Spannungen, seelische Konflikte?
"Wir wissen seitdem, dass im Traum vor allem Gehirnareale aktiv sind,
die für unser emotionales Empfinden zuständig sind", sagt Dresler. In
den Bereichen für höhere Kognitionen wie Aufmerksamkeit, Verständnis und
Orientierung hingegen spiele sich herzlich wenig ab.
Das erklärt, warum unsere Träume so
gefühlsgeladen sind und warum wir uns so unkonzentriert auf die
Traumhandlung einlassen.
Doch warum wir überhaupt träumen und
wodurch Träume entstehen, bleibt unklar. Will unser Gehirn vielleicht
Wichtiges einstudieren? Urtriebe und psychische Spannungen verarbeiten?
Seelische Probleme lösen? Will es Erlebnisse speichern? Oder etwa
gezielt vergessen?
"Um das zu erforschen, brauchten wir mehr
Material, mehr Messdaten, konkretere Trauminhalte", sagt Dresler. Bisher
hat der Wissenschaftler jedoch nur Daten von einer Handvoll Probanden,
die ihre Träume bewusst steuern konnten und von Computern aufzeichnen
ließen.
Es gibt eben nicht viele Menschen, die
unter Laborbedingungen imstande sind, regelmäßig luzid zu träumen. Umso
wertvoller sind die ersten Studienergebnisse, die für Martin Dresler
eine wichtige Grundlage bedeuten. "Die Ergebnisse könnten für die
gesamte Traum- und Bewusstseinsforschung von Bedeutung sein."
Und für Leistungssportler. Die sollen
nämlich komplizierte motorische Abläufe im Traum trainieren können.
Sprünge, Schrauben, Saltos - ohne Verletzungsrisiko. Das jedenfalls
möchte Daniel Erlacher. Der Sportpsychologe hat an der Uni Heidelberg
Probanden üben lassen, Münzen in einen Becher zu werfen. Die Klarträumer
unter ihnen sollten dies im Schlaf tun.
Die Träumer, denen es gelang, sich in
ihrer Traumwelt Münzen und Becher herbeizuzaubern, umringt von der
Absurdität ihres Unbewussten, schnitten im Praxistest ebenso gut ab wie
diejenigen, die das Münzenwerfen im Wachzustand geübt hatten - und
wesentlich besser als die Kontrollgruppe, die weder wach noch träumend
auf Becher gezielt hatte.
"Motorische Fertigkeiten lassen sich auch
im Traum erlernen und verbessern", folgert Erlacher. "Luzid träumen zu
können ist nicht nur deswegen für jeden eine Bereicherung. Und das
Schöne daran ist: Jeder kann es erlernen."
Fliegen, durch Wände gehen, mit Toten sprechen
Im Zuge seiner Traumstudien veröffentlichte Daniel Erlacher eine
"Anleitung zum Klarträumen", in der er beschreibt, mit welchen
Strategien wir unsere nächtlichen Traumwelten selbst gestalten können.
Das erste Mal wurde sich Erlacher eines Klartraums bewusst, als er gegen
zwei Riesen in seiner Küche Basketball spielte.
"Als mir klar wurde, dass die Küche nicht
der geeignete Ort für so etwas ist, merkte ich, dass ich träumen
musste", erinnert sich Erlacher. "Plötzlich konnte ich tun, was ich
wollte. Ich drehte mich um, kletterte auf den Fenstersims, ließ mich
nach vorn fallen und flog eine Runde ums Haus. Das war wirklich
beeindruckend."
Daniel Erlacher befragte im vergangenen
Jahr 1.350 Personen und stellte fest, dass jeder Zweite schon einmal
einen Klartraum hatte. Und dass diejenigen, die luzides Träumen wirklich
beherrschen, binnen weniger Traumsekunden Dinge tun können, die ihnen
im Wachzustand ein Leben lang verwehrt bleiben:
Mit den Urahnen aus der Renaissance
sprechen; mit den Zugvögeln gen Süden ziehen; als Superstar
Konzerthallen und Stadien füllen; durch Wände spazieren; George Clooney
oder Scarlett Johansson verführen. Andere berichteten, ihre alltäglichen
Probleme lösen, Ängste bewältigen zu können, sich selbst besser
verstehen zu lernen. Im Traum.
Paul McCartney will "Yesterday" im Schlaf
komponiert haben. Frank Elstner behauptet, mit dem Konzept von "Wetten,
dass . . ?" im Kopf aufgewacht zu sein. Einstein soll seine
Relativitätstheorie erträumt haben, Niels Bohr sein Atommodell. Nachts,
wenn alles schläft, wenn alles in den Betten liegt. Wenn wir Nacht für
Nacht ein Drittel unseres Lebens buchstäblich verpennen.