Viele Senioren essen zu wenig
In NRW sind die
Krankenhausbehandlungen älterer Menschen wegen Mangelernährung laut der
Krankenkasse DAK in den vergangenen drei Jahren um 70,7 Prozent
gestiegen. Experten sehen in der Zahl erste dramatische Auswirkungen des
demografischen Wandels.
hamburg Während sich in der Weihnachtszeit die meisten
Deutschen eher Sorgen wegen zu reichhaltiger Ernährung machen, hat
gestern eine schockierende Zahl der Senioren, die unter mangelhafter
Ernährung leiden, aufgerüttelt. Laut Daten der Krankenkasse DAK ist
diese Zahl in den vergangenen drei Jahren in Deutschland um alarmierende
53 Prozent angestiegen, in Nordrhein-Westfalen sogar um 70,7 Prozent.
"Die Hälfte der Menschen über 75 isst unregelmäßig und trinkt zu wenig",
sagt Bruno Malangré vom Caritasverband Köln.
Zu wenig Vitamine, zu wenig Eiweiß, zu wenig
Mineralstoffe – die Ernährung von Deutschlands Senioren gibt Anlass zur
Sorge. Im Jahr 2010 registrierte die DAK in NRW 4089
Krankenhausbehandlungen von Patienten mit der Haupt- oder Nebendiagnose
"Mangelernährung", 2008 waren es nur 2396 Fälle gewesen. Auch für die
anderen Bundesländer vermeldet die Krankenkasse ansteigende Zahlen
(siehe Grafik). "Der erschreckende Anstieg wird sich 2011 fortsetzen",
sagt DAK-Krankenhausexperte Peter Rowohlt.
Für die Mangelernährung gibt es vor allem zwei Gründe.
Zum einen seien ältere Menschen schwächer und für Krankheiten
anfälliger, wie Dagmar Lagac, Ernährungsassistentin vom Verbund
Katholischer Kliniken Düsseldorf, sagt. Dies habe unter anderem zur
Folge, dass immer mehr Patienten unter "Mehrfacherkrankungen" leiden,
die sich gegenseitig verstärken. "Alte Menschen haben besondere
Bedürfnisse, müssen zunehmend auch psychisch behandelt werden", erklärt
Lagac. Außerdem fehle im Alter ein richtiges Appetit- und Durstgefühl,
vor allem wenn die Senioren auch Medikamente einnehmen. Vielen fiele
zudem wegen anderer Erkrankungen das Schlucken und Verdauen schwer, sagt
Malangré vom Caritasverband.
Der zweite Grund betrifft das soziale Leben der
Ältesten, das immer mehr von Einsamkeit und Armut geprägt sei, weil
viele keinen Partner mehr haben, erklärt Gesundheits-Experte Martin
Allwang. Wer im hohen Alter nicht unterstützt werde, leide häufig unter
Depressionen und Hilflosigkeit. "Die Familienverbände lösen sich auf,
viele Senioren sind nicht mehr in der Lage zu kochen – oder sie wollen
es nicht, weil sie alleine sind", sagt Allwang. Auch mangelnde Bewegung
sei ein Problem der einsamen Senioren.
Dass die Mangelernährung oft nur als Nebendiagnose
festgestellt wird, wenn Patienten wegen ganz anderer, vermeintlich
akuterer Beschwerden den Arzt aufsuchen, ist für den
DAK-Krankenhausexperten Rowohlt ein "alarmierendes Zeichen". Er ruft die
Menschen dazu auf, im familiären Umfeld mehr auf die Gesundheit der
Senioren zu achten. Ein plötzlicher Gewichtsverlust oder eine
Anfälligkeit für Infekte seien Hinweise auf Nährstoffmängel, die zu
anderen Erkrankungen führen können. "Der Betroffene gerät in einen
Kreislauf, der kein gutes Ende nimmt", sagt Rowohlt. Viele Patienten
verlieren ihre Lebensqualität oder sterben sogar an ihren Erkrankungen.
Er rät den Senioren, Ernährungspläne aufzustellen und
den Angehörigen, sensibler mit diesem Thema umzugehen. In Österreich
gibt es sogar schon eine "Initiative Mangelernährung", die das
unterschätzte Ernährungs-Problem der alternden Senioren aufgreift.
Ansonsten lohnt laut Allwang ein Blick ans Mittelmeer: Der gesellige
Lebensstil der alten Spanier, Italiener und Griechen sei voller
Bewegung, und auch ihre Küche sei vorbildlich: ausgewogen und reich an
den lebenswichtigen Nährstoffen.
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